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Fiktives Einkommen - das sagt schon der Begriff - ist tatsächlich nicht vorhandenes Einkommen. Sein Vorhandensein wird unter bestimmten Voraussetzungen beim Unterhaltsverpflichteten und auch beim Unterhaltsberechtigten in der Unterhaltsberechnung fingiert. Dies geschieht immer dann, wenn in unterhaltsrechtlicher Hinsicht von einer Unterhaltspartei eine Erwerbsobliegenheit verletzt wird.

Beispiel: Der unterhaltsverpflichtete Ehegatte senkt nach der Trennung vom anderen Ehegatten sein Einkommen ab, indem er seine bisher vollschichtige Tätigkeit auf eine halbschichtige Tätigkeit reduziert. Niemand kann ihn rechtlich zwingen, zu der mutwillig aufgegebenen Vollzeittätigkeit zurückzukehren. Unterhaltsrechtlich wird ihm aber das bisher in Vollzeit erzielte Einkommen als fiktives Einkommen zugerechnet und somit der Unterhalt des anderen Ehegatten nach diesem Fiktiveinkommen berechnet.

Die Frage nach fiktiv zuzurechnendem Einkommen stellt sich etwa auch, wenn der Unterhaltsverpflichtete seinen Arbeitsplatz oder in die Selbständigkeit wechselt (und dort jeweils weniger verdient) oder eine zumutbare Nebenbeschäftigung nicht aufnimmt, um ein Gesamteinkommen zu generieren, damit die Unterhaltsansprüche bedient werden können.

Auch auf Seiten des unterhaltsberechtigten Ehegatten kann Einkommen fingiert und als solches in die Unterhaltsberechnung eingestellt werden.

Beispiel: Der unterhaltsverpflichtete Ehegatte erzielt aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit 3.000 Euro netto monatlich. Der andere - nicht erwerbstätige - Ehegatte beansprucht aus dem vorgenannten Einkommen Ehegattenunterhalt in Höhe von 3/7 (siehe hierzu auch Berechnung Ehegattenunterhalt), also in Höhe von rund 1.286 Euro. Es gibt jedoch keinen rechtlich relevanten Grund, warum der unterhaltsbegehrende Ehegatte nicht einer vollschichtigen Tätigkeit in dem erlernten Beruf nachgeht, wo er netto 1.100 Euro erzielen und in dieser Höhe seinen Unterhaltsbedarf decken könnte. Deshalb wird ihm ein entsprechendes Einkommen fiktiv zugerechnet und bedarfsdeckend auf den Unterhaltsbetrag angerechnet. Folglich reduziert sich der Unterhalt auf 186 Euro (1.286 Euro minus 1.100 Euro).

Einkommensfiktionen haben in der Rechtsprechung zunehmend an Bedeutung gewonnen. Selbstverständlich ist dieses Thema mit vielen Problemen behaftet. So ist etwa im Einzelfall fraglich, welches Einkommen auf Basis welches zeitlichen Erwerbsumfanges zurechenbar ist, ob das fiktive Einkommen überhaupt objektiv erzielbar wäre, ab wann eine Erwerbsobliegenheit mit der Folge fiktiv zuzurechnender Einkünfte einsetzt (Beispiel: Ehefrau betreut noch minderjährige Kinder) und vieles mehr.

Gerichte rechnen häufig fehlerhaft fiktives Einkommen zu! Schon mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht hier notwendige Korrekturen vorgenommen, ohne dass dies die teilweise "Fiktionswut" der Familiengerichte nachhaltig beeinflusst hätte.

Halten Sie sich bitte auch ein praktisches Problem vor Augen: Wird dem Unterhaltsverpflichteten (nach rechtlichen Maßstäben zutreffend) fiktives Einkommen zugerechnet und danach der Ehegattenunterhalt berechnet, hilft ein auf diese Weise herbeigeführter Unterhaltstitel oft nicht weiter. Denn die Vollstreckung aus fiktivem Einkommen führt zu nichts. Wo nichts ist, ist auch nichts zu holen. An diesem einfachen Prinzip haben auch die Gerichte bisher nichts ändern können.