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"Googlen" Sie bitte doch einmal den Begriff "ehebedingte Nachteile"! - Allein die Anzahl der Ergebnisse (zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Seite waren es knapp 40.000) zeigt, dass es sich um ein zentrales Thema handelt. - Worum geht es?

Im Rahmen der Unterhaltsreform im Jahr 2008 hatte sich der Gesetzgeber überlegt, dass von dem tradierten Modell, wonach Ehegattenunterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen zu berechnen sei, im Bereich des nachehelichen Unterhaltes unter bestimmten Voraussetzungen abgewichen werden solle. Die Trennung und Scheidung von Ehepaaren, die Gründung von Neufamilien (oft als Patchwork-Familien) und eine allgemeine Abkehr von konservativen Familienbildern sind zur gesellschaftlichen Realität geworden. Insoweit war es konsequent, den eigentlich auch schon zuvor im Familienrecht angelegten Ansatz stärker zu betonen (und deshalb auch zu normieren): Wenn die Ehe geschieden ist, sind die früheren Ehepartner fortan grundsätzlich wirtschaftlich eigenverantwortlich. Dass mit der Scheidung in jedem Fall auch ein rigoroser wirtschaftlicher "Schnitt" vollzogen werden kann, stand nicht zu erwarten und wäre auch nicht gerecht, beispielsweise dann, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte (häufig die Ehefrau) noch (ein) minderjährige(s) Kind(er) aus der Ehe zu betreuen hat.

Insbesondere im  Zusammenhang mit dem Themenkomplex "Kindererziehung", doch auch unabhängig von diesem dreht sich  der Problemkreis der "ehebedingten Nachteile" prinzipiell zwischen den "Maximalpositionen", nämlich wie weit einerseits die (nach)eheliche Solidarität noch fortwirkt und ab wann andererseits die wirtschaftliche Eigenverantwortung des unterhaltsberechtigten Ehegatten mit der Folge einsetzt, dass nur das Einkommen, welches er selbst nach seiner eigenen Erwerbsbiografie erwirtschaften könnte, als Bedarf anzusetzen ist.

Die Bemessung des sogenannten ehebedingten Nachteils ist theoretisch einfach:

Was könnte der unterhaltsberechtigte Ehegatte heute verdienen, wenn von der Ehe und/oder den Kindern nie die Rede gewesen wäre?

Beispiel: Herr M und Frau F heiraten im Jahr 2004. Sie ist zu dieser Zeit Sekretärin in Vollzeit bei der Firma X und verdient bereinigt etwa 1.600 Euro netto. Wegen der bevorstehenden Ehe und des (sich erfüllenden) Kinderwunsches steigt Frau F "vorübergehend" im Einverständnis mit Herrn M aus dem Beruf aus. Nach dem ersten Kind kommt 2009 noch ein weiteres eheliches Kind zur Welt. M und F vereinbaren, dass die Frau noch daheim bleiben solle, bis das jüngste Kind die weiterführende Schule besucht. 2014 trennen sich M und F. Die Frau versucht, in ihrem früheren Beruf Fuß zu fassen. Der Arbeitsplatz bei ihrem früheren Arbeitgeber existiert nicht mehr. Die Firma X ist zwischenzeitlich liquidiert worden. Die Frau findet eine Beschäftigung bei der Firma y in Vollzeit, doch die zahlt bereinigt nur netto 1.200 Euro.

Es gibt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die auf den ersten Blick die Berechnungsformel für den nachehelichen Unterhalt berechnungssicher vorzugeben scheint:

Erzielbares Netto des unterhaltsberechtigten Ehegatten (unter Einbeziehung erwartbarer Gehaltssteigerungen) bei Fortführung des früheren Jobs = Bedarf. Hier angenommenes erzielbares Netto bei ununterbrochener Fortführung der Karriere: 1.800 Euro

Hierauf anzurechnen: Einkommen des unterhaltsberechtigten Ehegatten, das er heute (unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Pausierens und damit auch verbundenener "Abkopplung" von der technischen Fortentwicklung) in diesem Beruf erzielen kann: angenommen 1.200 Euro.

Differenz zwischen dem erzielbaren Einkommen bei (fiktiver) Fortführung der beruflichen Karriere ohne Ehe und ohne Kinder und dem erzielbaren Einkommen nach Ehe und trotz Kinder: 600 Euro.

Das Ergebnis klingt plausibel, doch diese einfache Formel beantwortet längst nicht alle Fragen.

Ich kann Ihnen wegen der Vielzahl der relevanten Faktoren keine abschließende Antwort auf die Frage geben, ob und in welcher Höhe jeweils ein ehebedingter Nachteil vorliegt.

Vielmehr möchte ich Ihnen Fragestellungen an die Hand geben, die Ihnen eine Orientierung geben können, worauf es in diesem Zusammenhang ankommen kann (diese Fragestellungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit - bitte lassen Sie sich eingehend beraten!):

- Wie war der eheliche Lebensplan? Wann und wie sollte der unterhaltsberechtigte Ehegatte wieder in den Beruf "einsteigen"?

- Welche beruflichen Rückschritte/Veränderungen des unterhaltsberechtigten Ehegatten waren wirklich ehe- und/oder kinderbedingt?

- Hat auch der unterhaltsverpflichtete Ehegatte wegen der Ehe und/oder der Kinder beruflich (oder sonst?) zurückgesteckt?

- Kann die "Alternativberechnung" des unterhaltsberechtigten Ehegatten (Fortschreibung der früheren Karriere) überhaupt greifen, wenn der frühere Arbeitsplatz weggefallen ist (z.B. Unternehmen liquidiert) oder das frühere Berufsbild nicht mehr existiert (Bsp.: frühere Setzerin in einem Zeitungsverlag - entsprechende Arbeitsplätze nicht mehr existent wegen heutiger Bearbeitung am PC)?

- Welcher Ehegatte ist für was und welche Entwicklungen darlegungs- und beweisbelastet?

- Welche Bedeutung haben im Ausland absolvierte Ausbildungen und berufliche Karrieren?

- Welche Konsequenz hat es, wenn der andere Ehegatte durch die Ehe (und den damit verbundenen wirtschaftlichen Vorteilen - auch in rentenrechtlicher Hinsicht) besser steht als er ohne Ehe und/oder Kinder jemals stünde?

- Was passiert, wenn der unterhaltsverpflichtete Ehegatte durch einen (nachehelichen) Karrieresprung mehr verdient, als er bei Fortschreibung der früheren Karriere jemals verdienen würde?

- Wie wirkt sich eine lange Ehedauer aus?